Frederick Sanger

Frederick Sanger OM, CH, CBE (* 13. August 1918 in Rendcomb, Gloucestershire; † 19. November 2013 in Cambridge, Cambridgeshire) war ein britischer Biochemiker.

Er gehörte zu den wenigen Personen, die zweimal mit dem Nobelpreis geehrt wurden: 1958 erhielt Sanger den Nobelpreis für Chemie (als alleiniger Preisträger) für die Aufklärung der Struktur des Insulins und seine Arbeiten zur Proteinsequenzierung. 1980 wurde er erneut mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet (zusammen mit Paul Berg, geb. 1926, und Walter Gilbert, geb.1932), dieses Mal für Untersuchungen zur Ermittlung der Basensequenz in Nukleinsäuren.[1]

Leben

Schule und Studium

Frederick Sanger wurde als zweiter Sohn des Arztes Frederick Sanger senior (1876–1937) und Cicely Sanger (1880–1938) in Rendscomb geboren. Beeinflusst durch den Vater und durch seinen ein Jahr älteren Bruder Theodore entwickelte Sanger schon früh ein Interesse für die Naturwissenschaften. Nach der Schulausbildung an der Bryanston School und ab 1936 am St John’s College in Cambridge wollte er ursprünglich Medizin studieren, entschied sich dann aber für die Biochemie, da er sich als Naturwissenschaftler anders als im Arztberuf stärker auf ein Themengebiet konzentrieren und so vielleicht mehr erreichen könnte. So begann Sanger mit dem Studium der Biochemie am Department of Biochemistry in Cambridge.

1939 erhielt Sanger seinen Abschluss als Bachelor of Arts. Da er aus einer Quäker-Familie kam, lehnte er den Kriegsdienst aus Gewissensgründen ab und arbeitete während des Zweiten Weltkrieges an seiner Doktorarbeit weiter, die er im selben Institut unter der Betreuung von A. Neuberger über den Metabolismus der Aminosäure Lysin anfertigte. 1943 erhielt er den Doktorgrad.

Forschungstätigkeit

Sangers Arbeit wurde von 1944 bis 1951 durch ein Stipendium des Beit Memorial Fellowship for Medical Research gefördert. 1951 wurde er externer Mitarbeiter des Medical Research Council (MRC).

Im Jahr seiner Promotion wurde Albert Chibnall Nachfolger von Frederick Gowland Hopkins als Leiter der Biochemie-Abteilung in Cambridge, und Sanger wurde Mitglied in Chibnalls Forschungsgruppe. Das Hauptinteresse der Gruppe galt der Proteinchemie, insbesondere der des Insulins. Sanger entwickelte 1945 schließlich eine Methode zur Bestimmung der Aminosäuresequenz, mit deren Hilfe er in zwölfjähriger Arbeit die Insulinsequenz vollständig bestimmte. 1955 konnte die Sequenz der 51 kettenförmig angeordneten Aminosäuren im Insulin veröffentlicht werden, wofür Sanger 1958 mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet wurde.

In der Folge blieb Sanger in Cambridge und übernahm 1962 die Leitung der Abteilung für Proteinchemie am Laboratory of Molecular Biology (LMB). Dieses Institut war 1962 als neuer Laborkomplex gebaut worden, nachdem das Medical Research Council schon 1947 in Cambridge eine Gruppe zur „Erforschung der molekularen Struktur biologischer Systeme“ eingerichtet hatte. Obwohl Sanger bis dahin kein besonderes Interesse an Nukleinsäuren hatte, erkannte er durch die Diskussion mit Wissenschaftlern wie Francis Crick oder Sydney Brenner die Notwendigkeit, auch die Sequenz dieses anderen Biopolymers zu bestimmen. In den folgenden Jahren widmete sich Sanger daher der Entwicklung einer weiteren Sequenzierungsmethode, die schließlich 1975 zum „Kettenabbruchverfahren“ führte. Damit konnte 1977 erstmals der Weltöffentlichkeit die DNA-Sequenzierung anhand des komplett dechiffrierten Genoms eines Bakteriophagen vorgestellt werden. 1980 wurde Sanger für seine Beiträge zur Sequenzierung von Nukleinsäuren zum zweiten Mal mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet. Etwa um die gleiche Zeit (1976/77) entwickelten Allan Maxam und Walter Gilbert eine andere Methode der DNA-Sequenzierung, die Maxam-Gilbert-Methode, die mit der Methode von Sanger zur ersten Generation der DNA-Sequenzierungsmethoden zählt.

1983 ging Frederick Sanger in den Ruhestand. Zuletzt widmete er sich zusammen mit seiner Frau Margaret Joan seinen Hobbys: dem Gärtnern und dem Segeln. Aus ihrer Ehe stammen drei Kinder. Am 19. November 2013 verstarb Frederick Sanger in Cambridge.

Auszeichnungen

Werk

Methode zur Bestimmung der Aminosäuresequenz

Endgruppenbestimmung nach Sanger: A Derivatisierung des N-Terminus mit 2,4-Dinitro-1-fluorbenzol (DNFB), B saure Totalhydrolyse des Dinitrophenyl-Peptids in ein Dinitrophenyl-Derivat der N-terminalen Aminosäure und die übrigen Aminosäuren
Prinzip der Sequenzbestimmung mit Sangers Methode

Sangers Methode zur Bestimmung der Aminosäuresequenz entstand in seiner Zeit als Mitglied in Albert Chibnalls Forschungsgruppe in Cambridge. In den 1940er-Jahren erlebte die Proteinchemie eine Revolution durch die Entwicklung effizienter chromatographischer Trennungsmethoden für Proteine, Peptide und Aminosäuren. Sanger wollte nun die Reihenfolge der Aminosäuren in einem Protein (Aminosäuresequenz) bestimmen. Dazu zerlegte er die Proteinkette zunächst in kleine Peptidfragmente und isolierte diese dann mit Hilfe der neuen Methoden. Zur Markierung und späteren Identifizierung der endständigen Aminosäure setzte Sanger die Fragmentpeptide mit 1-Fluor-2,4-dinitrobenzol um. Die am N-Terminus derivatisierten Peptide wurden komplett in ihre Aminosäuren gespalten, deren relative Mengen anschließend quantitativ bestimmt wurden. Die Identität der endständigen Aminosäure konnte durch chromatographische Analyse des farbigen Dinitrophenyl (DNP)-Derivats bestimmt werden. In diesem Arbeitsgang erhielt man zwei Informationen: 1. die Identität der ersten Aminosäure in der Kette und 2. die Art der anderen Aminosäuren in der Kette (wenngleich auch nicht deren Position). Durch mehrfache Wiederholung des Verfahrens kann man schließlich Rückschlüsse auf die ursprüngliche Sequenz ziehen. Die Abbildung verdeutlicht das Prinzip der Sequenzierungsmethode an einem kleinen Peptid.

In zwölfjähriger Arbeit gelang Sanger die komplette Sequenzbestimmung von Insulin. Erschwerend kam hinzu, dass Insulin ein Protein ist, das aus zwei Polypeptidketten besteht, die über Disulfidbrücken miteinander verbunden sind. Die Anordnung dieser Verbrückungen musste ebenfalls bestimmt werden. 1955 wurde die komplette Insulinsequenz veröffentlicht. Damit wurde erstmals bewiesen, dass Proteine eine eindeutige chemische Struktur besitzen. Jetzt konnten frühere Hypothesen endgültig verworfen werden, etwa die, dass Proteine zwar eine definierte Aminosäurezusammensetzung besitzen, jedoch mit zufälliger Sequenz, oder dass Proteine gar Aggregate kleinerer ähnlicher Einheiten sind. 1958 wurde Sanger für diese Arbeiten mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet.

Sangers Sequenzierungsmethode wurde später durch den von dem schwedischen Biochemiker Pehr Edman entwickelten Phenylisothiocyanat-Abbau verdrängt. Der wesentliche Vorteil der Edman-Methode bestand darin, dass man Aminosäuren sukzessive vom N-Terminus her abbauen und identifizieren konnte. Das um eine Aminosäure verkürzte Restpeptid konnte anschließend einem erneuten Abbauzyklus unterzogen und so die Sequenz relativ schnell bestimmt werden.

Methode zur Sequenzierung von Nukleinsäuren

Sangers Methode zur Sequenzierung von Nukleinsäuren entstand in seiner Zeit als Leiter der Abteilung für Proteinchemie am Laboratory of Molecular Biology (LMB) in Cambridge. Sie entstand aus der Notwendigkeit, die Sequenz der Nukleinbasen zu bestimmen.

Sanger entwickelte zum Erreichen dieses Ziels zunächst eine Methode zur Sequenzierung von Ribonukleinsäuren (RNA), die er dann auf Desoxyribonukleinsäure (DNA) anwandte. Diese Methode war jedoch sehr langsam und erlaubte nur die Bestimmung kurzer Sequenzabschnitte. In der Folgezeit entwickelte er eine neue Methode, die die Grundlage für die heutige DNA-Sequenzierungsmethode werden sollte, die sogenannte Didesoxymethode. Diese Technik nutzt folgende Eigenschaften der DNA:

  1. Die DNA ist ein doppelsträngiges Molekül, einer gewundenen Strickleiter nicht unähnlich. Die Sprossen der Leiter bilden Paare der Nukleinbasen (Adenin, Guanin, Thymin und Cytosin), von denen es nur zwei Kombinationen gibt: Adenin steht Thymin gegenüber, Cytosin ist mit Guanin gepaart.
  2. Trennt man die beiden Einzelstränge auf, so kann man mit Hilfe einer DNA-Polymerase den Komplementärstrang synthetisieren. Allerdings braucht man ein kleines komplementäres DNA-Stück (Primer), das man an den Einzelstrang bindet und von der Polymerase gemäß der Instruktion des Gegenstranges (Template-Strang) verlängert wird.

Das synthetisierte DNA-Stück hat also einen definierten Anfangspunkt. Die Syntheseprodukte jedoch können unterschiedliche Längen haben, die Länge hängt davon ab, wie viele freie Nukleotide zur Synthese zur Verfügung stehen oder ob die Polymerase zufällig von dem Matrizenstrang abfällt.

Prinzip der DNA-Sequenzierung nach der Didesoxy-Methode.
dNTP ist die allgemeine Abkürzung für ein Nukleosidtriphosphat und kann für dATP, dCTP, dGTP oder dTTP stehen. ddNTPs sind die entsprechenden Didesoxy-Varianten der dNTPs. Der Einbau eines ddNTPs führt zum Abbruch der Polymerisationsreaktion. Die blauen Punkte am 5'-Ende des Primers stellen eine Markierung dar (z. B. eine fluoreszierende Gruppe), mittels der die Syntheseprodukte später im Gel sichtbar gemacht werden können. Alternativ lassen sich auch radioaktiv markierte Nukleosidtriphosphate zur Polymerisationsreaktion einsetzen.

Sangers Trick besteht nun darin, die Polymerisationsreaktion in vier getrennten Ansätzen durchzuführen, und dafür zu sorgen, dass jeder Strang den gleichen Start hat (was durch den Primer gegeben ist) und dass die Verlängerungsreaktion – obwohl an unterschiedlichen Stellen – aber immer an einer bestimmten Basensorte enden soll. Um das zu gewährleisten, enthält jeder Reaktionsansatz neben den vier Nukleotid-Monomeren jeweils die Didesoxy-Variante einer Nukleotidsorte. Die Kettenverlängerung läuft solange, bis schließlich irgendwann ein Didesoxy-Nukleotid eingebaut wird. Damit fehlt die 3'-OH-Gruppe zur Ausbildung der Phosphodiesterbindung zum nächsten Kettenglied und die Synthese stoppt hier. Durch die Festlegung des Anfangspunktes spiegelt die Länge der Synthesefragmente in einem Reaktionsansatz die relative Position der jeweiligen Nucleinbasensorte im Molekül wider. Setzt man radioaktiv (oder andersartig markierte) Nukleotide zur Reaktion ein und trennt die vier Ansätze nebeneinander entsprechend ihrer Größe in einem Acrylamidgel auf, so kann man die Basensequenz direkt vom Gel ablesen. Die nebenstehende Abbildung verdeutlicht das Prinzip der Didesoxy-Sequenzierung.

1977 präsentierten Sanger und Mitarbeiter die komplette Sequenz des 5.386 Basenpaare großen Bakteriophagen φX174. Aus der Sequenz dieses Bakterienvirus konnte direkt die Aminosäuresequenz der zehn viralen Proteine abgelesen werden, da der genetische Code, der angibt welche Dreierabfolge von Nukleinbasen (Basentriplett) für welche Aminosäure in einem Protein kodiert, durch Pionierarbeiten in den 1960er-Jahren bekannt war. 1980 wurde Sanger für seine Beiträge zur Sequenzierung von Nukleinsäuren zum zweiten Mal mit dem Nobelpreis ausgezeichnet.

Die Bedeutung von Sangers Arbeit für die Gentechnik und das Genom-Projekt

Anfang der 1970er-Jahre wurden Klonierungsmethoden entwickelt, mit denen man DNA-Stücke beliebigen Ursprungs in Bakterien vermehren kann, so dass genügend Material für die Sequenzierung zur Verfügung steht. Damit eröffnete sich die Möglichkeit, die gesamte genetische Information eines Organismus, das Genom, zu sequenzieren und damit indirekt auch die Sequenzen aller von diesem Organismus theoretisch synthetisierbaren Proteine abzuleiten. Zusammen mit Stanley Norman Cohen und Paul Berg, den Erfindern der rekombinanten Klonierungstechnik, kann Frederick Sanger daher als Vater der Gentechnik und des Genom-Projekts bezeichnet werden.

Zitate

“Of the three main activities involved in scientific research, thinking, talking, and doing, I much prefer the last and am probably best at it. I am all right at the thinking, but not much good at the talking.”[3]

“Previously I had not had much interest in nucleic acids. I used to go to Gordon Conferences on Protein and Nucleic Acids when the two subjects were bracketed together, and would sit through the nucleic acid talks waiting to get back to proteins. However, with people like Francis Crick around, it was difficult to ignore nucleic acids or to fail to realize the importance of sequencing them.”[4]

“Unlike many scientists, I decided to retire and give up research when I reached the age of 65. This surprised my colleagues, and to some extent myself also. I had not thought about retirement until I suddenly realized that in a few years I would be 65 and would be entitled to stop work and do some of the things I had always wanted to do and had never had time for. The possibility seemed surprisingly attractive, especially as our work had reached a climax with the DNA sequencing method and I rather felt that to continue would be something of an anticlimax.”[5]

Werke

Wichtige Originalarbeiten:

Zur Proteinsequenzierung
Zur DNA-Sequenzierung
  • F. Sanger, S. Nicklen, A. R. Coulson: DNA sequencing with chain-terminating inhibitors. In: Proceedings of the National Academy of Sciences. Band 74, 1977, S. 5463–5467; PMID 271968; PMC 431765 (freier Volltext).
  • F. Sanger, G. M. Air, B. G. Barrell, N. L. Brown, A. R. Coulson, C. A. Fiddes, C. A. Hutchison, P. M. Slocombe, M. Smith: Nucleotide sequence of bacteriophage phi X174 DNA. In: Nature. Band 265, 1977, S. 687–695; PMID 870828.
Autobiographisches, Übersichtsartikel

Literatur

Weblinks

Commons: Frederick Sanger – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. a b Alok Jha: DNA pioneer Frederick Sanger dies aged 95. In: The Guardian. 20. November 2013, archiviert vom Original am 21. November 2013; abgerufen am 21. November 2013 (englisch).
  2. Bayerische Akademie der Wissenschaften: Korrespondierende Mitglieder. In: badw.de. Bayerische Akademie der Wissenschaften, archiviert vom Original am 7. November 2011; abgerufen am 21. November 2013.
  3. Frederick Sanger: Sequences, Sequences, and Sequences. In: Frederick Sanger, Margaret Dowding (Hrsg.): Selected Papers of Frederick Sanger: With Commentaries. World Scientific, Singapore / River Edge / London 1996, ISBN 981-02-2430-3, S. 635 (Introduction).
  4. Frederick Sanger: Sequences, Sequences, and Sequences. In: Frederick Sanger, Margaret Dowding (Hrsg.): Selected Papers of Frederick Sanger: With Commentaries. World Scientific, Singapore / River Edge / London 1996, ISBN 981-02-2430-3, S. 648.
  5. Frederick Sanger: Sequences, Sequences, and Sequences. In: Frederick Sanger, Margaret Dowding (Hrsg.): Selected Papers of Frederick Sanger: With Commentaries. World Scientific, Singapore / River Edge / London 1996, ISBN 981-02-2430-3, S. 660.