Stempel des Germanistischen Seminars der Reichsuniversität Straßburg, „Abteilung Germanenkunde und Skandinavistik“

Als Reichsuniversität Straßburg bezeichnet man die Universität Straßburg während der NS-Herrschaft in Straßburg, also von November 1941 bis November/Dezember 1944. Jedoch trug auch die Kaiser-Wilhelms-Universität Straßburg den Beinamen „Reichsuniversität“, da sie zentral vom Reichskanzleramt verwaltet wurde. Mit dem Namen sollte einerseits eine Kontinuität zu ihr hergestellt werden. Zum anderen sollte Straßburg Zentrum der Westforschung werden. Diese sollte helfen, die westlichen Nachbarn an die neue europäische Ordnung zu binden und für die unter deutscher Führung entstehende Völkergemeinschaft zu gewinnen.[1]

Die Reichsuniversität Straßburg wurde im Herbst 1944 bei der Befreiung des Elsass durch die Franzosen nach Tübingen verlegt und durch die alte französische Universität ersetzt.

Anfänge

Die Kaiser-Wilhelms-Universität in Straßburg wurde 1919 geschlossen und als Université de Strasbourg als französische Universität wieder gegründet. Sie wurde nach Kriegsausbruch Anfang September 1939 nach Clermont-Ferrand evakuiert und dort mit Lehr- und Forschungsbetrieb unter gleichem Namen weitergeführt.[2]

Nach dem Waffenstillstand zwischen Frankreich und Deutschland im Juni 1940 und der deutschen Besetzung Frankreichs wurde eine Zivilverwaltung für das Elsass eingerichtet. Der Chef der Zivilverwaltung im Elsass, Robert Wagner ließ schon ab Juli 1940 Entwürfe und Planungen zur Gründung einer Universität in Straßburg erstellen, für die er die Zivilverwaltung im Elsass als eigen- und alleinverantwortliche Instanz betrachtete, nachdem diese direkt der Verantwortung Hitlers unterstellt worden war.[3] In dieser Sache beanspruchten jedoch auch andere Stellen und Ministerien die Kompetenz und Verantwortung, besonders das Reichswissenschaftsministerium. Im Kompetenzstreit mit Wagner wurde ihr im April 1941 die Zuständigkeit für die werdende Reichsuniversität zugesprochen. Sie übernahm daraufhin auch die Finanzierung.[4]

Eröffnung

Für die Eliteuniversität waren vom Reichswissenschaftsministerium wie vom Chef der Zivilverwaltung 112 Professoren­stellen geplant,[5] was eine Bewerberflut nach sich zog. Zahlreiche Verwaltungs- und Parteidienststellen versuchten die Besetzung zu beeinflussen. Tatsächlich wurden nie alle Planstellen besetzt und konnten es auch bereits kriegsbedingt nicht mehr. Zu Beginn des Jahres 1942 z. B. lehrten nur 53 ordentliche und 11 außerordentliche Professoren an der Reichsuniversität,[6] zum Wintersemester 1942/1943 zählt das entsprechende Personal- und Vorlesungsverzeichnis 56 ordentliche und 20 außerordentliche Professoren zum universitären Lehrkörper.[7]

Die Reichsuniversität Straßburg wurde mit einem Festakt am 23. November 1941 im Lichthof des Universitätshauptgebäudes. Zugegen waren Reichserziehungsminister Bernhard Rust, Reichsstatthalter Robert Wagner, Staatsminister Otto Meissner, zahlreiche Vertreter aus Partei, Wehrmacht und Staat und die Rektoren aller deutschen Hochschulen.

Der Rektor Karl Schmidt sah für die Universität durch Lage und Tradition besondere Aufgaben; sie solle helfen, „auf geistigem Gebiete den Westen von der inneren neuen Ordnung zu überzeugen und ihn für Europa zu gewinnen“. Rust forderte die Lehrenden und Lernenden auf, „in das Erbe der kämpfenden Geschlechter mit den Waffen des Geistes einzutreten und für eine Erneuerung kämpferischen, nur der Wahrheit verschworenen Forschergeistes eines erwachten Europas zu wirken“.

„Verdiente Männer aus dem Elsaß und dem Altreich“ wurden zu Ehrenbürgern der Reichsuniversität ernannt.[8]

Siehe auch: Straßburger SC-Kameradschaften

Organisation

Gliederung

Die Reichsuniversität Straßburg wurde – wie geplant – mit vier Fakultäten ausgestattet.[9]

Rektor

Von 1941 bis zur Eroberung von Straßburg durch die Alliierten im November 1944 war der Augenheilkundler Karl Schmidt Rektor der Reichsuniversität.[10] Er war von 1936 bis 1939 bereits Rektor der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn gewesen.[11] Der nationalsozialistische Rechtsgelehrte Georg Dahm fungierte bis 1944 als sein Prorektor.

Lehrer

Gedenktafel für die Opfer von August Hirt am Institut für Anatomieforschung

An dieser Universität lehrten unter anderem der Kernphysiker Rudolf Fleischmann, der Theoretische Physiker Carl Friedrich von Weizsäcker, der Experimentalphysiker Wolfgang Finkelnburg, die Chemiker Walter und Ida Noddack, der Geologe Otto Rudolph Wilckens (1876–1943), die Staatsrechtler Ernst Rudolf Huber und Herbert Krüger, die Historiker Ernst Anrich, Günther Franz, Hermann Heimpel sowie als Assistent Hermann Löffler (1962–1973 Professor an der PH Heidelberg), der Kunsthistoriker Hubert Schrade, der Psychologe Hans Bender, der für seine Fleckfieberversuche an Häftlingen im KZ Natzweiler-Struthof bekannte Bakteriologe Eugen Haagen, der für seine Giftgasversuche an Häftlingen gleichenorts bekannte Internist Otto Bickenbach und der für Kampfstoffversuche an Menschen und die Ermordung von KZ-Häftlingen für die geplante „Straßburger Schädelsammlung“ berüchtigte Anatom August Hirt.[12] Die Personalakten der Reichsuniversität Straßburg wurden 1962 vom Bundesarchiv langfristig an das Bundesverwaltungsamt ausgeliehen und gelten seit 1984 als verloren.[13]

Ende und Verlagerung

Im August/September 1944 wurden erhebliche Mengen an Büchern und wissenschaftliche Geräten der Universität sowie die Sachausstattung aller naturwissenschaftlichen und teilweise der medizinischen Institute nach Tübingen und andere Orte in Süddeutschland verlagert. Ende September 1944 wurden bei einem alliierten Luftangriff auf Straßburg die Versorgungsleitungen der Universitätsgebäude teilweise zerstört und nachfolgend Vorbereitungen zur Errichtung einer Außenstelle der Reichsuniversität Straßburg in Tübingen eingeleitet. Französische wie amerikanische Truppen rückten überraschend am 23. November 1944 in Straßburg ein, wobei die Universitätsangehörigen größtenteils flüchteten und damit der Universitätsbetrieb endgültig zum Erliegen kam. Offiziell wurde die Reichsuniversität erst am 18. Dezember 1944 auf Anordnung des Reichwissenschaftsministeriums nach Tübingen verlegt und nahm dort in sehr kleinem Umfang den Vorlesungsbetrieb wieder auf. Tübingen selber wurde am 19. April 1945 von französischem Militär besetzt; Ende Mai wurden den in Tübingen verbliebenen Angehörigen der Reichsuniversität gekündigt und verlagerte Bibliotheksbestände und Sachausstattung der Reichsuniversität von französischer Seite nach Straßburg abtransportiert – zugunsten der Université de Strasbourg.[14]

Literatur

  • Christian Baechler, François Igersheim, Pierre Racine: Les „Reichsuniversitäten“ de Strasbourg et Poznan et les résistances universitaires, 1941–1944. Presses universitaires de Strasbourg, Strasbourg 2005, ISBN 2-86820-268-3.
  • Frank-Rutger Hausmann: Hans Bender (1907–1991) und das „Institut für Psychologie und Klinische Psychologie“ an der Reichsuniversität Straßburg. 1941–1944. Ergon-Verlag, Würzburg 2006, ISBN 3-89913-530-X (Grenzüberschreitungen 4).
  • Frank-Rutger Hausmann: Wissenschaftsplanung und Wissenschaftslenkung an der Reichsuniversität Straßburg. In: Noyan Dinckal, Christof Dipper, Detlev Mares (Hrsg.): Selbstmobilisierung der Wissenschaft. Technische Hochschulen im „Dritten Reich“. Darmstadt 2010, ISBN 978-3-534-23285-7, S. 187–230.
  • Herwig Schäfer: Juristische Lehre und Forschung an der Reichsuniversität Straßburg 1941–1944 (Beiträge zur Rechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts, Bd. 23). Mohr Siebeck, Tübingen 1999, ISBN 3-16-147097-4 (Rezension).
  • Joachim Lerchenmüller: Das Ende der Reichsuniversität Straßburg in Tübingen. In: Bausteine zur Tübinger Universitätsgeschichte 10, 2005, S. 115–174.
  • Joachim Lerchenmüller: Die Reichsuniversität Straßburg. [Sicherheitsdienst] SD-Wissenschaftspolitik und wissenschaftliche Karrieren vor und nach 1945. In Karen Bayer (Hg.): Universitäten und Hochschulen im Nationalsozialismus und in der frühen Nachkriegszeit. Franz Steiner, Stuttgart 2004, ISBN 3-515-08175-5.
  • Patrick Wechsler: La Faculté de Médecine de la „Reichsuniversität Strassburg“ (1941–1945) à l’heure nationale-socialiste. Dissertation, Faculté de Médecine, Université Louis Pasteur, Strasbourg 1991 (Volltext).
  • Teresa Wróblewska: Die Reichsuniversitäten Posen, Prag und Strassburg als Modelle nationalsozialistischer Hochschulen in den von Deutschland besetzten Gebieten. Marszalek, ToruÅ„ 2000, ISBN 83-7174-674-1 (Rezension).
  • Jost-Dietrich Busch: Juristische Wege zwischen Straßburg und Kiel, Hamburg, Göttingen. Vor- und Nachwirkungen der Reichsuniversität Straßburg 1941–1944. Zeitschrift für Öffentliches Recht in Norddeutschland 2005, S. 150–152.
  • Alexander Pinwinkler: Der Arzt als «Führer der Volksgesundheit?» Wolfgang Lehmann (1905-1980) und das Institut für Rassenbiologie an der Reichsuniversität Straßburg, in: Revue d´Allemagne et des Pays de Langue Allemande 43 (2011), 401-417.
  • Thomas Mohnike: Eine im Raum verankerte Wissenschaft? Aspekte einer Geschichte der „Abteilung Germanenkunde und Skandinavistik“ der Reichsuniversität Straßburg. In: NordeuropaForum 2010/1, S. 63–85.
  • Rainer Möhler: Litteris et patriae – zweimal deutsche Universität Straßburg zwischen Wissenschaft und Germanisierung (1872–1918 und 1941–1944). In: Armin Heinen, Dietmar Hüser (Hrsg.): Tour de France. Eine historische Rundreise Festschrift für Rainer Hudemann (= Schriftenreihe des Deutsch-Französischen Historikerkomitees, Bd. 4). Steiner, Stuttgart 2008, ISBN 978-3-515-09234-0, S. 157–169.
  • Rainer Möhler: Zweierlei Erinnerung an einem „Historischen Ort“ – das bedrückende Erbe der „Reichsuniversität Straßburg“ und die „Université de Strasbourg“ 1945 bis heute. In: Joachim Bauer, Stefan Gerber, Jürgen John, Gottfried Meinhold (Hrsg.): Ambivalente Orte der Erinnerung an deutschen Hochschulen (= Quellen und Beiträge zur Geschichte der Universität Jena, Bd. 13). Stuttgart 2016, ISBN 978-3-515-11573-5, S. 255–280.
  • Rainer Möhler: „Ce ne sont pas des collègues“. L’attitude de la Reichsuniversität Straßburg à l’égard de l’ Université de Strasbourg repliée à Clermont-Ferrand. In: Olivier Forcade (Hrsg.): Exils intérieurs. Les évacuations à la frontière franco-allemande (1939-1940). Paris 2017, ISBN 979-10-231-0573-5, S. 123–133.
  • Rainer Möhler: Die Reichsuniversität Straßburg 1940-1944. Eine nationalsozialistische Musteruniversität zwischen Wissenschaft, Volkstumspolitik und Verbrechen (Veröffentlichungen der Kommission für Geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg. Reihe B, Bd. 227). Kohlhammer, Stuttgart 2020, ISBN 978-3-17-038098-1.
  • Revue d’Allemagne et des pays de langue Allemande. Bd. 43, n° 3, juillet–septembre 2011, Schwerpunktheft: Une Université Nazie Sur Le Sol Francais (Eine Nazi-Universität auf französischem Boden). Nouvelles recherches (Neuere Forschungen) sur la Reichsuniversität de Strasbourg (1941–1944). Hg. Catherine Maurer, Beiträge deutsch oder französisch. ISSN 0035-0974 (Inhaltsverzeichnis).

Einzelnachweise

  1. ↑ s. Schreiben Werner Best (Verwaltungschef beim Militärbefehlshaber Frankreich) 8. Mai 1942 an DFG zitiert bei Joachim Lerchenmüller: Das Ende der Reichsuniversität Straßburg in Tübingen. In: Bausteine zur Tübinger Universitätsgeschichte Folge 10, Tübingen 2005, S. 116.
  2. ↑ Herwig Schäfer: Juristische Lehre und Forschung an der Reichsuniversität Straßburg 1941–1944. Mohr Siebeck, Tübingen 1999. S. 17–18.
  3. ↑ Herwig Schäfer: Juristische Lehre und Forschung an der Reichsuniversität Straßburg 1941–1944. Mohr Siebeck, Tübingen 1999, S. 30–31.
  4. ↑ Herwig Schäfer: Juristische Lehre und Forschung an der Reichsuniversität Straßburg 1941–1944. S. 38, 43.
  5. ↑ Schäfer: Juristische Lehre, S. 41.
  6. ↑ Schäfer: Juristische Lehre, S. 59.
  7. ↑ Reichsuniversität Straßburg: Personal- und Vorlesungs-Verzeichnis Winter-Semester 1942/1943. Heitz & Co. Verlag, Straßburg 1942, S. 17–23.
  8. ↑ Wilhelm Röhl: Die Wiedereröffnung der Universität Straßburg. Straßburger Schwabenblatt, 2. Kriegsausgabe 1941/42, Nr. 119/120, S. 2–4.
  9. ↑ Herwig Schäfer: Juristische Lehre und Forschung an der Reichsuniversität Straßburg 1941–1944, S. 35.
  10. ↑ Ralf Forsbach: Die medizinische Fakultät der Universität Bonn im „Dritten Reich“. Oldenbourg Verlag, München 2006, S. 266ff. (Dig.).
  11. ↑ Rektoratsreden
  12. ↑ Ausführlich zu diesem Verbrechen: Hans-Joachim Lang: Die Namen der Nummern. Wie es gelang, die 86 Opfer eines NS-Verbrechens zu identifizieren. Hoffmann & Campe, Hamburg 2004, ISBN 3-455-09464-3.
  13. ↑ Ernst Klee: Deutsche Medizin im Dritten Reich. Frankfurt am Main, ISBN 978-3-10-039310-4, S. 192.
  14. ↑ Herwig Schäfer: Juristische Lehre und Forschung an der Reichsuniversität Straßburg 1941–1944, S. 240–243.